RE:Aemilius 105

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Papinianus, Rechtsgelehrter mit disputierender Darstellung † 212 n. Chr.
Band I,1 (1893) S. 572 (IA)–575 (IA)
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105) Aemilius Papinianus (so lautet der Name in der Inschrift CIL VI 228. Digest. XII 1, 40. Cod. Iust. I 17, 1, 6), der berühmte Rechtsgelehrte, war wahrscheinlich Altersgenosse des Kaisers Septimius Severus (geb. 146), da er mit diesem Schüler des Cervidius Scaevola war (Hist. Aug. Carac. 8, 3) und ihm (unter Marc Aurel) als advocatus fisci nachfolgte (ib.). Auch war er mit Severus eng befreundet und nach einigen durch des Kaisers zweite Gemahlin (Iulia Domna) mit ihm verwandt (ib. 8, 2). Er stammte daher vielleicht wie diese aus Syrien. Unter Severus (193–211) war er zuerst magister libellorum (Digest. XX 5, 12 pr.: libellos agente Papiniano; vgl. Vict. Caes. 20, 33), später, wahrscheinlich als unmittelbarer Nachfolger des C. Fulvius Plautianus († 21. Januar 203), Praefectus praetorio, CIL VI 228 (im J. 205 zusammen mit Maecius Laetus). Dio LXXVI 10, 7 (ums J. 204). 14, 6 (um 208). Vict. Caes. 20, 34. Hist. Aug. Carac. 8, 7. Digest. XII 1, 40. Zosim. I 9. Ihm vor allem commendavit Severus seine beiden Söhne (Hist. Aug. Carac. 8, 3. Zosim. I 9). Aber von Caracalla wurde er gleich nach seinem Regierungsantritt entlassen (J. 211, Dio LXXVII 1, 1) und im nächsten Jahre (212), da er die Ermordung des Geta nicht billigte, mit dem [573] Beile vor des Kaisers Augen hingerichtet (Dio LXXVII 4, 1. 2. Hist. Aug. Carac. 3, 2. 4, 1. 8, 4–8; Geta 6, 3; Sever. 21, 8. Vict. Caes. 20, 33. 34. Zosim. I 9). Auch sein Sohn wurde getötet (Hist. Aug. Carac. 4, 2). (Iulius) Paulus et (Domitius) Ulpianus Papiniano in consilio fuerunt (Hist. Aug. Niger 7, 4), assessores Papiniani fuisse dicuntur (Alex. 26, 6).

Über Papinians Leben vgl. Rudorff R. R.-G. I 188. Bruns R.-E. V 1141–1143. Hirschfeld V.-G. I 230, 61. Teufel RLG⁵ § 371. Krüger Quell. u. Litt. d. R. R. 197. Karlowa R. R.-G. I 735. Schriften: 1) Quaestiones (37 B.). Das Werk gehört in der Hauptsache der Alleinherrschaft des Severus (193–198) an, welcher als regierender Kaiser im 19. 29. 36. Buche begegnet. Dig. XXX 67, 9. XXII 1, 6. L 5, 7. Da jedoch Commodus erst im 15. Buche als verstorben vorkommt (Dig. XXXI 64), so ist nicht ausgeschlossen, dass die früheren Bücher unter seiner Regierung entstanden sind. Die Gesamtherrschaft des Severus und Caracalla wird in unseren Fragmenten nicht erwähnt, doch ist eine Entstehung der letzten Bücher nach 198 trotzdem nicht unmöglich. Die Quaestionen enthalten Erörterungen von Rechtsfragen, welche teilweise von praktischen Fällen ausgehen, teilweise aber auch ohne solche Anknüpfung den Gegenstand in freier Weise dogmatisch behandeln. Die Grundlage des Rechtsunterrichts, von welcher diese Litteraturgattung ausgegangen ist, tritt allerdings in unseren Fragmenten weniger scharf hervor, aber die eigentümlichen Merkmale der Quaestionenwerke, die disputierende Art der Darstellung, die Zerlegung der Rechtsfrage in Unterfragen, die Heranziehung von Beispielen, die Unterstützung durch Quellenbelege und Meinungen früherer Juristen, die Beleuchtung entgegenstehender Ansichten, finden sich auch bei Papinian in reichem Masse. Die Ordnung der Materien ist in B. 1–28 die des praetorischen Edicts; in den späteren Büchern (29–37) sind die Fragen in Anknüpfung an das Gesetzesrecht und die kaiserlichen Constitutionen behandelt. Vgl. Dirksen Hinterlassene Schriften II 461–471. Fitting Alter d. Schriften röm. Jurist. 28–30. Mommsen Zeitschr. f. R.-G. IX 93–96. 100f. Teuffel RLG 371, 4. 5. Krüger 198f. 132f. Karlowa I 736f. 669. Fragmente bei Lenel Pal. I 813–881 (fr. 63–386); vgl. auch Dirksen II 459. Zachariae Zeitschrift d. Sav. Stift. X 252f. 2) Responsa (19 B.), in der Hauptsache (B. 1–12) unter der Gesamtherrschaft des Severus und Caracalla (198–211), und zwar vom 4. Buch ab erst seit 206 entstanden (wegen der in Dig. XXIV 1, 32, 16 berücksichtigen Oratio des Serverus und Caracalla über die Convalescenz der Schenkungen zwischen Ehegatten; s. ebenda pr. § 1); im 14. Buch (so Lenel zu fr. 712) jedoch wird Severus als verstorben erwähmt: die letzten Bücher fallen also in das Jahr 211, vielleicht auch Anfang 212. Papinians Responsen weichen von den sonstigen Werken dieser Art besonders dadurch ab, dass der Verfasser die Consultation und den darauf ergangenen Bescheid regelmässig nicht als solche anführt, sondern den juristischen Inhalt des vorliegenden Falles kurz vorträgt. Begründungen der Entscheidung begegnen häufig, [574] auch sonstiges Material ist herangezogen, so dass die Darstellung den Quaestionen nahe verwandt erscheint. Daraus, dass sich seit dem 8. Buch bisweilen das herkömmliche respondi oder respondit findet, kann man gewiss nicht auf eine Herausgabe dieser Bücher nach Papinians Tode schliessen (so Karlowa I 737); unser Material ist viel zu gering, um solche Folgerungen zu rechtfertigen. Dass der Verfasser nicht mehr die letzte Feile an den Schluss seines Werkes legen konnte, ist möglich (vgl. Pernice Labeo I 62, 9), auch an spätere Zusätze von Schülern könnte man vielleicht (wegen des respondit) denken. Der Stoff ist in derselben Weise wie in den Quaestionen geordnet: B. 1–12 nach dem Edict, B. 12–19 nach Gesetzen, Constitutionen, Senatusconsulten. Vgl. Dirksen II 471–473. Fitting 31. Teuffel § 371, 4. 5. Krüger 199f. Karlowa I 736f. Fragmente bei Lenel Pal. I 881–946 (fr. 387–749). Über die jüngsten, 1876 und 1877 aufgefundenen Berliner und Pariser Bruchstücke des 5. und 7. Buches vgl. Krüger 246 und in der Coll. libr. iur. ant. III 285ff. Teuffel § 371, 4 und das dort Citierte. 3) Definitiones (2 B.). Das Werk enthält Grundsätze des geltenden Rechts in kurzgefasster, dogmatischer oder casuistischer Formulierung, ohne gelehrte Erörterungen, ohne Belege und ohne Polemik. Es scheint wie die meisten derartigen Schriften den doppelten Zweck einer Einführung für den Anfänger und einer leichten Orientierung für den Praktiker zu verfolgen. Entstehungszeit und Disposition sind nicht erkennbar. Vgl. Dirksen II 460. Krüger 200. 129. Fragmente bei Lenel Pal. I 809–813 (fr. 29–62). 4) De adulteriis. Unsere Fragmente stammen aus zwei Bearbeitungen von verschiedener Anlage: einer Schrift in 2 Büchern in breiter, alles Material heranziehender Darstellung, die wie es scheint nach der lex Iulia de adulteriis (18 v. Chr.) geordnet war, und einem liber singularis, der eine Reihe von Responsen enthält, welche grösstenteils als Frage und Antwort wiedergegeben sind (respondi und respondit). Das Verhältnis der beiden Recensionen zu einander ist unklar; dass das Werk in 2 Büchern eine zweite Auflage des kürzeren sei, ist des abweichenden Charakters wegen nicht wahrscheinlich, Krüger denkt bei dem liber singularis an einen Nachtrag. Vielleicht sind die mit respondit eingeleiteten Bescheide erst nach Papinians Tode von seinen Schülern hinzugefügt; aber es ist ebenso wohl möglich, dabei an Entscheidungen anderer Juristen, die der Verfasser selbst eingeschoben hat, zu denken. Vgl. Dirksen II 460f. Krüger 200. Fragmente bei Lenel Pal. I 803–809 (fr. 1–27). 5) Ein griechisch geschriebenes Werk Ἀστυνομικός (1 B.), aus welchem nur ein, die Strassenpolizei der ἀστυνόμοι betreffendes Bruchstück (Lenel Pal. I 809 fr. 28) erhalten ist. Unter diesen Magistraten versteht Mommsen St.-R. II³ 603, 4 die IIII viri viarum curandarum. Andere Ansichten bei Dirksen II 460 (Aedilen). Kuhn Städt. und bürg. Verf. I 58f. und Karlowa I 737 (curatores rei publicae); vgl. auch Bremer Rechtslehrer und Rechtsschulen 89. Krüger 200. Die Entstehungszeit dieser und der vorhergehenden Schrift lässt sich nicht bestimmen.

[575] Papinians hohe juristische Bedeutung scheint bereits von seinen Zeitgenossen und unmittelbaren Nachfolgern anerkannt zu sein. Zu seinen Werken schrieben Ulpian (Resp.), Paulus (Quaest. und Resp.) und Marcian (de adult.) Notae, teils commentierender, teils ergänzender und polemisierender Art; vgl. fr. 11. 64. 82. 108. 173. 177. 223. 237. 364. 528. 529. 532. 533. 573. 624. 625. Lenel. In der Folgezeit aber stieg sein Ansehen immer mehr: die Schriftsteller und namentlich die Kaiser in ihren Constitutionen gedenken seiner stets mit Ausdrücken hoher Bewunderung. Zusammenstellungen s. bei Bruns 1144. Rudorff I 188, 5. Teuffel § 371, 3. Krüger 200, 19. Karlowa I 736. Constantin setzte (321) die Noten des Ulpian und Paulus zu Papinians Schriften ausser Kraft. Cod. Th. I 4, 1: qui dum ingenii laudem sectantur, non tam corrigere eum quam depravare maluerunt. Das sogenannte Citiergesetz der Kaiser Theodosius II. und Valentinian III. (426) hielt dieses Verbot aufrecht und bestimmte ausserdem, dass bei der Zählung der dem Richter vorgelegten Autoritäten im Falle einer Stimmengleichheit Papinians Meinung den Ausschlag geben solle. Cod. Th. I 4, 3. In der Iustinianischen Codification haben wieder einige der Noten Aufnahme gefunden (Const. Deo. auct. 6; vgl. die obigen Citate). Im Studiencursus des 5. Jhdts. bildeten Papinians Responsen die Grundlage der Vorträge des dritten Jahres, die Studierenden benannten sich Papinianisten und feierten ein Fest zum Andenken an den grossen Juristen (Const. Omnem 1. 4). Auch in neuerer Zeit ist man mit der Anerkennung Papinians nicht zurückhaltend gewesen. Und sie gebührt ihm fraglos: seine tiefe wissenschaftliche Durchdringung des römischen Rechts ist ebenso bewundernswert wie sein treffendes Verständnis für die Forderungen des praktischen Lebens und seine Fähigkeit, den gewonnenen Gedanken in knapper, sachgemässer Form zum Ausdruck zu bringen. Zur Würdigung Papinians vgl. Dirksen bes. 455f. 473ff. Bruns 1143. Mommsen Zeitschrift für R.-G. IX 100f. Krüger 200f. Karlowa I 736.

[Jörs. ]