RE:Aias 4

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Oiliades, Sohn des Lokrerkönigs Oïleus, Held vor Troia
Band I,1 (1893) S. 936 (IA)–940 (IA)
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4) Αἴας Ὀϊλιάδης (Il. XVI 330) oder (Il. II 527) Ὀϊλῆος, Sohn des Lokrerkönigs Oïleus, daher A. der Lokrer (auch der Kleinere) genannt (Hom. Il. II 527); seine Mutter hiess Eriopis (Il. XIII 697), nach Anderen Alkimache Schol. Il. XV 333. 336), sein Stiefbruder, von Oïleus mit der Rhene erzeugt, war Medon (Il. II 727. XIII 695). Die Nymphe Rhene heisst bei Hyg. fab. 97 auch Mutter des A. Nach Strab. IX 425 war er aus der lokrischen, Euboia gegenüberliegenden Stadt Narykos gebürtig und heisst deswegen bei Ov. met. XIV 468 Narycius heros. Nach Hom. Il. II 534 führte er die Lokrer in 40 Schiffen vor Troia (nach Hyg. fab. 97 in 20) und erschien hier als einer der tapfersten Griechen, der sich zum Kampfe mit Hektor anbot (Il. VII 164); besonders aber zeichnet er sich aus in der Schlacht bei den Schiffen, wo er nebst dem Telamonier A. ausdrücklich von Poseidon zum Kampfe aufgefordert wird (Il. XIII 46). In den ersten Reihen kämpft er in Gemeinschaft mit dem Telamonier, ohne dass ihm, dem Schnellfüssigen (denn ausser Achilleus ist kein Schnellerer im Heere, Il. XXIII 791), seine leichtbewaffneten Lokrer folgen konnten (Il. XIII 701ff.), und erlegte mehr Feinde auf der Flucht als ein Anderer (Il. XIV 521). Weiter führt die Ilias von ihm an, dass er den Kleobulos lebendig gefangen genommen und ihm das Haupt abgeschlagen habe (Il. XIV 330), dass er beim Kampfe um des Patroklos Leiche unter den Tapfersten war (XVII 256) und hauptsächlich zu ihrer Rettung beitrug, indem er die andrängenden Feinde zurückhielt (XVII 732ff.). Bei den dem gefallenen Patroklos zu Ehren von Achilleus angestellten Leichenspielen beginnt er übermütig mit Idomeneus einen Streit, welchen Achilleus schlichtet (XXIII 473), und hält einen Wettlauf [937] mit Odysseus und Antilochos, ist nahe daran den Sieg davon zu tragen, strauchelt aber durch Veranstaltung der ihm ungünstig gesinnten Athene, welche Odysseus zu seiner Hülfe anrief, wird von diesem überholt und erhält nur den zweiten Preis, welcher in einem Stier bestand (XXIII 754–784). Bemerkenswert ist die komische Darstellung, welche Homer von diesem Falle des A. giebt, der zur Strafe für seinen vorherigen Übermut von Athena veranstaltet scheint. Bezüglich der Heimkehr des A. erzählt die Odyssee (IV 499ff.), dass sein Schiff an dem gyrischen Felsen auf Athenes Veranstaltung gescheitert, er selbst aber von Poseidon auf diesen Felsen gerettet worden sei. Als er aber frevelnd lästerte, dass er trotz der Unsterblichen dem Tode entrinne, ergrimmte Poseidon und zerspaltete mit dem Dreizack den gyrischen Felsen, dass den Helden die Flut verschlang. Vgl. Plin. n. h. XXV 60. A. zeigt sich hier als einen trotzigen und übermütigen Verächter der Götter und hat schon bei Homer etwas Wildes und Rohes in seinem Charakter, Züge, welche von der späteren Sage noch weiter ausgebildet worden sind. Vgl. Philostrat. Heroik. VIII 1. Im Kampfe vor Troia erscheint er gewöhnlich, der Kleine, Leichtbewaffnete und Gewandte, neben dem grossen schwerbewaffneten und schwerfälligen Telamonier Aias (Il. XII 265. XIII 701. XVII 507 und sonst), wie denn in den alten hellenischen Stammsagen und Kriegsliedern die beiden Aianten und Teukros, verwandte Helden aus dem Stamm der Aiakiden, eng mit einander verbunden gewesen sein müssen. Die späteren Darstellungen fügen dem homerischen Mythos noch manche erweiternde und specialisierende Züge hinzu. A. wird unter den Freiern der Helena aufgezählt, Apollod. III, 10, 8. Hyg. fab. 81. Vor Ilion erschlug er 14 Troer (Hyg. fab. 114). Philostr. Her. VIII 1 lässt ihn von einem zahmen Drachen begleitet werden. Der Zorn der Athena, mit welchem sie den von Troia heimkehrenden A. in der Odyssee verfolgt und als dessen Grund dort im allgemeinen der übermütige Missbrauch des Sieges, welcher in der Od. III 133 angedeutet ist (vgl. Strab. XIII 600), betrachtet werden muss, wird von den Späteren durch eine besondere That des A. motiviert. A. verfolgte nämlich nach der Eroberung der Stadt die Priesterin Kassandra, welche sich in den Tempel der Athena flüchtete und dort das Bild der Göttin schutzsuchend umfasste, bis zum Bilde der Göttin und riss sie mit Gewalt weg, so dass das Bild von seiner Basis herabstürzte. Als die Griechen, erzürnt über diese Gottlosigkeit, ihn steinigen wollten, flüchtete er auf den Altar der Göttin und rettete sich dadurch aus der drohenden Gefahr. So Arktinos Iliupersis in den Excerpten des Proklos (Welcker Ep. Cycl. II 185. 522). Vgl. die Darstellung auf dem Kasten des Kypselos bei Paus. V 19, 1. Euripid. Troad. 69ff. Auf dem Gemälde des Polygnot in Delphi, das die Zerstörung von Ilion darstellte und sich besonders an die Iliupersis des Lesches hielt, war das Gericht der Achaeer über den Frevel des A. dargestellt und seine Lossprechung, nachdem er einen Reinigungseid geschworen. Odysseus hatte den A. [938] wegen seines Angriffs auf Kassandra angeklagt und auf seine Steinigung angetragen (Paus. I 31, 1. X 26, 1). Dieselbe Scene war auch in der Poikile zu Athen von Polygnot gemalt (Paus. I 15, 3). Sophokles in seinem Αἴας Λοκρός scheint sich an diese Version der Sage gehalten zu haben; s. Welcker Griech. Trag. I 161 ff. Die älteren Formen der Sage bei den Kyklikern und den Tragikern wenigstens bis auf Euripides wissen nichts von einer Schändung der Kassandra durch A. in oder ausser dem Tempel der Athena; Kallimachos ist, wie es scheint, der Erste, welcher diese Schändung erzählt hat (ἐν Αἰτίοις bei Schol. Il. XIII 66). Ihm sind die Späteren zum Teil gefolgt, Lykophr. 360. 1141ff. Strab. XIII 895. Propert. IV 1, 118f. Quint. Sm. XIII 420ff. Tryphiod. 645, vgl. Eustath. und die Schol. zu Od. III 135. Die ältere Form der Sage ist beibehalten von Verg. Aen. II 403. Tzetz. Posth. 735. Hyg. fab. 116. Diktys V 12. Von Philostr. Her. VIII 2 u. Schol. Lykophr. 360 wird der Schändung ausdrücklich widersprochen. Sie erzählen, A. habe die Kassandra aus dem Tempel wohl in sein Zelt geführt, aber sie nicht misshandelt. Agamemnon aber habe sie ihm weggenommen und verbreiten lassen, dass Athena aus Hass gegen A. das Heer zu vernichten drohe, wenn dieses nicht den Frevler vernichte. Da habe dieser, an das ungerechte Gericht über den Telamonier denkend, in leichtem Fahrzeug sich auf die See gewagt und sei untergegangen. Bei der Nachricht seines Todes sei das griechische Heer in laute Wehklagen ausgebrochen, und habe zum Totenopfer in dem grossen Schiffe, das den A. nach Troia gebracht, einen Holzstoss aufgetürmt, dazu schwarze Opfertiere geschlachtet, und als der Landwind wehte, das brennende Fahrzeug in die hohe See gehen lassen. Die Version von der Schändung ist wahrscheinlich aus einer Tempelsage entstanden, welche das Vergehen des A. so strafwürdig als möglich darstellte, um einen Jahrhunderte lang dauernden religiösen Gebrauch der opuntischen Lokrer zur Versöhnung des Zorns der Athena zu erklären. Bald nach der Eroberung Troias sollte nämlich eine Pest das Vaterland des A. heimgesucht und der um Rat gefragte Apollon erklärt haben, die Lokrer sollten jedes Jahr zwei edle Jungfrauen der Athena nach Ilion als Tempeldienerinnen senden. Dies thaten die Lokrer bis kurz vor der Zeit des Plutarch. Die hingesendeten Jungfrauen mussten, zum Opfer geweiht, eine nächtliche Jagd des Volkes in Todesangst ausstehen und dann als Tempeldienerinnen den Tempel kehren.[WS 1] Timaios bei Tzetzes Lykophr. 1145. Kallimachos bei Schol. Il. XIII 66. Strab. XIII 600. Polyb. XII 5. Plut. de sera num. vind. 12. Aeneas Tact. 31. Iambl. vita Porph. 42. Suid. s. πονή. Welcker Griech. Trag. I. 164. Preller-Plew Gr. Myth. II 451. Vgl. den orchomenischen Mythos von den Töchtern des Minyas bei Plutarch quaest. Graec. 38. Toepffer Att. Geneal. 189ff. Der Zorn der Athena über den von den Achaeern nicht bestraften Frevel traf das ganze Heer auf dem Heimweg. Die bei Homer Od. IV 499 genannten gyrischen Felsen verlegen Eustathios und die Scholien in die Nähe von Mykonos; bei Quint. Sm. XIV 570 [939] werden sie in die Nähe des kapherischen Vorgebirges am südöstlichen Ende von Euboia gesetzt. An dieser Stelle setzen die meisten Dichter nach Homer den Sturm an, der die rückkehrenden Griechen heimsuchte und den Tod des A. herbeiführte, z. B. Agias von Troizen in den Nosten, Excerpte des Proklos, Welcker Ep. Cycl. II 280. Vgl. Eurip. Troad. 69ff. Kallimach. bei Schol. Il. XIII 66. Lykophr. 366ff. Philostr. Imag. II 13. Hyg. fab. 116. Verg. Aen. I 43 mit Servius. Ovid. met. XIV 468ff. Diktys VI 1. Manche, wie Hyg. fab. 116. Quint. Sm. XIV 614 (vgl. Verg. Aen. XI 260 mit Servius), verbinden damit die Erzählung von Nauplios, dem Vater des Palamedes, der, um den Mord seines Sohnes zu rächen, die Griechen an den kapherischen Felsen durch Fackeln irreführt und viele tötet. Statt Poseidon tötet Athena selbst den A. durch den Blitz (Hyg. fab. 116 und Verg. Aen. I 43). Kallimachos bei Schol. Hom. Il. XIII 66 und Lykophr. 387–407 erzählen, dass A., von den gyrischen Felsen durch Poseidon hinabgeschleudert, von den Wellen an die Küste von Delos getrieben und dort von Thetis begraben worden sei. Nach Aristot. Pepl. 16 Bgk. ist das Grab des A. auf Mykonos. Nach seinem Tode weilte A. mit Achilleus und andern Helden auf der Insel Leuke (Paus. III 19, 11. Konon narrat. 18). Bei den Lokrern wurde er als Heros verehrt und das Andenken an seine Tapferkeit war so gross, dass sie in der Schlachtreihe eine Stelle für ihn offen liessen und ihn sich hier als ihren beständigen Anführer dachten, Konon a. a. O. Paus. a. a. O.

A. der Lokrer kommt in Kunstwerken zwar ziemlich häufig, aber nur in wenigen Scenen vor. Wir finden ihn in der Statuengruppe des Onatas, welche die um den Zweikampf mit Hektor losenden Griechen darstellte (Paus. V 25, 8f., vgl. Sauer Anfänge der statuar. Gruppe 38f.) und bei der Leichenfeier des Patroklos (Monum. d. Inst. VI 31, Wandgemälde in Vulci). Auf lokrischen Münzen erscheint er gerüstet und in Angriffsstellung (Head HN 285f. Gardner Types of Greek coins Taf. VII 22. 43; vgl. O. Jahn Arch. Aufs. 168f.). Zahlreich sind die Darstellungen seines Frevels an Kassandra, die er von dem Palladion fortreisst (Overbeck Gall. her. Bildw. 615. 617. 635f., Taf. XXV 24f. Robert Bild u. Lied 60. E. Curtius in Arch. Zeit. XL 160f. Taf. VIII 2. 2a, Vasen und Thonrelief). Den schon früh festgestellten Typus dieser Scene verliess Polygnot in seiner Iliupersis und malte A., wie er neben der am Boden sitzenden und durch ein Athenabild in ihren Armen als Priesterin bezeichneten Kassandra vor einem Altar stand und einen Schwur ablegte (Paus. X 26, 3. Wiener Vorlegebl. 1888 Taf. XII. Robert Beschreibung der Gemälde des Polygn. 5f.; Arch. Jahrb. IV Anz. 143). Seinen Untergang stellte ein Gemälde des Apollodor dar (Plin. n. h. XXXV 60) und der πίναξ eines von Philo von Byzanz beschriebenen mechanischen Theaters (R. Schöne im Arch. Jahrb. V 75f.). Endlich finden wir ihn in der Nekyia des Polygnot mit anderen Helden beim Würfelspiel (Paus. X 31, 1. Robert Beschreibung der Gem. [940] des Pol. 13) und in einer Genrescene unter Figuren mit mythologischen Namen auf einer praenestinischen Ciste (Monum. d. Inst. IX 22/23, vgl. wegen der Aiax Oilios zu lesenden Beischrift ebd. Supplem. 15/16). Eine Statue erwähnt Christodor (Anth. Pal. II 209f.), ein Gemälde, auf welchem er an der Totenklage über Antilochos teilnahm, beschreibt Philostratos imag. II 7, ein anderes, welches seinen Untergang darstellte, II 13.

Nachträge und Berichtigungen

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Band S I (1903) S. 34 (EL)
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S. 930ff. zum Art. Aias:

4) (zu S. 938, 55): Über den lokrischen Jungfrauenzehnten handelt Apollod. epit. 6, 20–22 (Mythogr. Graec. I 222 W.), dessen Bericht Tzetzes Lyc. 1141 (vgl. 440) mit den Scholien contaminiert und auf den Namen des Timaios getauft hat. Apollodor hat wohl die Erzählung eines hellenistischen Dichters, wahrscheinlich des Euphorion (drei Hexameter bei Plut. de ser. num. vind. 12 [Meineke Anal. Alex. 165], vgl. Lykophr. 1151ff.) zu Grunde gelegt. Vgl. Wagner Apollod. epit. Vat. (Lpz. 1891) 292. Knaack Jahrb. f. Philol. 1888, 151f. Thrämer Herm. XXV 55ff. Geffcken Timaios Geogr. d. Westens 10–14.

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Band R (1980) S. 15
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Aias

4) A. Oiliades, Held vor Troia. (L) S I.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. hierzu den Nachtrag in Supplementband I.
  • Siehe auch Aias 5 im Supplementband I, 34.